Zahlungsverzug: Was gilt, wenn der Rückstand von der Behörde verschuldet ist?
LG Bonn, Urt. v. 10.11.2011 – 6 T 198/11, MietRB 2012, 65 = Info M 2012, 58
Der im Leistungsbezug der ARGE stehende Mieter trägt das Risiko dafür, dass die ARGE die Miete pünktlich zahlt. Ausbleibende oder unpünktliche Mietzahlungen hat er deshalb in aller Regel zu vertreten. Auf die Eigenschaft der ARGE als Erfüllungsgehilfen des Mieters kommt es nicht an. Trotz des Risikos hat der Mieter ausnahmsweise ausbleibende oder unpünktliche Mietzahlungen der ARGE nicht zu vertreten, wenn er darlegen und beweisen kann, dass er alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um die ARGE zu pünktlichen Zahlungen zu veranlassen.
Der Fall: Der Mieter ist ALG II-Empfänger. Die Behörde zahlt die Miete nicht, woraufhin der Vermieter das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs kündigt und später auf Räumung klagt. Der Mieter behauptet, er sei „jeden Tag bei der ARGE gewesen“. Zu der Frage, weshalb die Behörde die Miete gar nicht oder verspätet gezahlt hat, konnte er letztlich im Verfahren nichts Konkretes vortragen oder beweisen. Das Amtsgericht gibt der Klage des Vermieters statt und erlegt dem Mieter die Kosten des Rechtsstreits auf. Dagegen wendet er sich mit einer sofortigen Beschwerde.
Die Entscheidung: Das Landgericht Bonn bestätigt die Kostenentscheidung. Die zahlungsverzugsbedingte Kündigung und das daraufhin ergangene Räumungsurteil seien berechtigt erfolgt. Der Mieter habe die durch die ARGE unterlassene Mietzahlung zu vertreten. Zwar sei die Arge nicht Erfüllungsgehilfe eines im Leistungsbezug stehenden Mieters. Dennoch habe der Mieter die ausbleibenden Mietzahlungen schon deshalb zu vertreten, weil ihn hinsichtlich der Mietzahlungen ein Beschaffungsrisiko treffe. Deshalb müsse er alles im Verhältnis zur Behörde und ihm Zumutbare unternehmen, um laufende und pünktliche Mietzahlungen sicherzustellen. Nur dann, wenn die Behörde in diesem Fall die Miete nicht pünktlich zahle könne dem Mieter keine Obliegenheitsverletzung vorgeworfen werden. Denn unter diesen Voraussetzungen sei er als objektiv schuldlos an der Zahlungen verhindert anzusehen. Der Mieter trage die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen habe, um die Behörde zu einer pünktlichen Mietzahlung anzuhalten (§ 286 Abs. 4 BGB). In dieser Hinsicht sei er im Verfahren beweisfällig geblieben.
Konsequenzen für die Praxis: Die Entscheidung arbeitet die rechtlichen Verantwortlichkeiten zutreffend heraus. Sie unterstreicht die eigene Verantwortlichkeit eines ALG II-Mieters für pünktliche Mietzahlungen. Bereits das LG Berlin (Beschl. v. 09.02.2010 – 67 T 18/10, GE 2010, 487) hatte ähnlich wie hier zur Verantwortlichkeit des ALG II-Empfängers für pünktliche Mietzahlungen entschieden. Zu häufig wird der ALG II-Mieter in dieser Hinsicht nicht verantwortlich gemacht oder als nicht verantwortlich angesehen. Um hier einen Wohnungsverlust zu vermeiden, muss der Mieter konkret vortragen, weshalb die Behörde nicht stets pünktlich zahlte und was er selbst dagegen unternommen hat, um dies zu verhindern. Spätestens nach einer Abmahnung muss der Mieter sich kümmern, dass die Behörde die Miete pünktlich zahlt (Paschke, GE 2010, 102; Rieble, NJW 2010, 816 [817]; dafür wohl auch Monschau, MietRB 2010, 1). Allein die Behauptung eines Mieters, man habe die Behörde mehrfach aufgefordert, die Miete pünktlich zu zahlen, reicht nicht aus (Horst, MietRB 2012, 65 [66]). Darüber hinaus soll es nicht genügen, wenn vorgetragen wird, ein Mieter habe jeden Tag bei der Behörde vorgesprochen, um auf eine korrekte Zahlungsabwicklung hinzuwirken. Die Entscheidung steht nicht im Widerspruch zur BGH-Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 21.10.2009 – VIII ZR 64/09, NZM 2010, 37). Danach ist die Sozialbehörde nicht als Erfüllungsgehilfe im Hinblick auf den Mieter als Schuldner von Mietforderungen anzusehen (a. A. Rieble, NJW 2010, 816). Ungeklärt ist noch, ob der Einwand eines (dem Mieter nicht anzurechnenden) Behördenverschuldens einer Zahlungsverzugskündigung des Vermieters erfolgreich entgegengehalten werden kann (Zühlke, Info M 2012, 58). Nach der Grundsatzentscheidung des BGH vom Oktober 2009 wird mit der aktuellen Entscheidung das den Mieter treffende Beschaffungsrisiko in den Vordergrund gerückt (ebenso LG Berlin, Beschl. v. 09.02.2010 – 67 T 18/10, GE 2010, 487).